Mentaltraining im Rudersport

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Mentaltraining

Knapp 30 aufgeschlossene Ruderinnen trafen sich am Nikolaustag wieder online in der Zukunftswerkstatt „Frauen im Rudersport“. Diesmal hatten die Organisatorinnen vom Deutschen Ruderverband einen Vortrag zum Thema Sportmentaltraining auf die Tagesordnung gesetzt. Da ich selber Mentaltrainerin bin und das Wissen nicht zuletzt für mich nutze, war ich besonders gespannt, wie Alexandra Albert das Thema präsentieren würde.

Mentaltraining – ein hidden champion

Die bewährten Mentimeter-Umfragen zeigten, dass zwar die Mehrheit der Teilnehmerinnen der Meinung ist, dass Mentaltraining Einfluss auf den Trainingserfolg hat. Erfahrungen damit haben aber nur 5 Frauen. In nur 3 durch die Teilnehmerinnen vertretenen Verein wird Mentaltraining gelegentlich eingesetzt. Genauso viele Vereine sind sogar dagegen, während zumindest 14 Vereine offen dafür wären.

Sowohl Trainer als auch Athleten – selbst im Leistungs- und Spitzensport – wissen noch immer viel zu wenig über Mentaltraining, was es ist, was es kann und was es nicht kann. Es gibt zwar einiges an Literatur, aber die angelesene Theorie und eine gute praktische Anwendung sind zwei paar Schuh.

Rudern aus der Schwanenperspektive

Mit einem Foto eines Schwans, dessen Blick auf den im Hintergrund vorbeifahrenden Achter fällt, lud die Referentin zu einer Außenschau auf die Ruderbewegungen ein. Dem neutralen Beobachter fällt auf, dass hier mehrere Menschen hintereinander sitzen, keinen Blickkontakt zueinander haben und in einen Richtung fahren, in die sie nicht schauen.

Rudern im Mannschaftsboot erfordert eine synchrone Bewegung mit Kraft und Ausdauer. Aus Sicht der Sport- und Bewegungswissenschaft benötigt die Mannschaft

  • eine koordinierte Bewegung
  • Kohäsion im Team
  • Konzentration auf die Bewegung
  • die Motivation, Kraft und Ausdauer einzubringen
  • eine Be- und Entlastungsregulation für das Rollen

Gerade Ruderer kommen oft an die Schmerzgrenze, was längst nicht in allen Sportarten der Fall ist. Dabei bietet mentale Stärke eine gute Unterstützung. Zudem hilft das Mentaltraining, die feine Tonusregulation, die für die optimale Muskelspannung in der Bewegung nötig ist, zu steuern.

Motivation – nötig, aber schwer definierbar

Sportler brauchen eine gute Motivation. Aber was ist das eigentlich? Und wirken Motivationstechniken? Hier beginnen die Schwierigkeiten, denn einerseits ist Motivation nur individuell definierbar, und auch Motivationstechniken wirken nicht für alle gleichermaßen.

Deshalb entführt uns die Referentin in die Neurowissenschaft und blickt mit uns auf unser Gehirn.

Vom Gehirn in den Körper

Das Gehirn will vor allem unser Überleben sichern und wird dabei von verschiedenen neuronalen Systemen unterstützt. Dabei beeinflussen sich Gedanken und Gefühle und führen zu Reaktionen des Körpers, die sich auf den Tonus der Faszien auswirken. Da jede Bewegung im Fasziensystem beginnt, sind Bewegungen besser umsetzbar, wenn der Sportler gut drauf, entspannt ist und positive Gedanken hat. Steht er hingegen unter Stress, ist der Tonus hoch und die Faszien neigen zum Verkleben. Das Problem ist hier Dauerstress, der die automatische Regulation verhindert.

Mentale Prozesse überall

Jede Handlung wird von einem mentalen Prozess begleitet und die Gedanken beeinflussen die

  • Muskelspannung
  • Körperhaltung
  • Atmung
  • Verdauung

Das sind natürlich nicht nur Behauptungen, sondern ist auch physiologisch messbar über Bio-Feedback. Wir Teilnehmerinnen der Zukunftswerkstatt durfen uns nach diesen Aussagen in einer Übung von der Wirkung überzeugen. Alleine durch eine Phantasiereise zu einem entspannten Urlaubstag konnte uns Alexandra Albert zunächst entspannen und anschließend im Verlauf eines stressigen ersten Arbeitstag in Unruhe bringen. Weder der Urlaubs- noch der Arbeitstag waren real, und trotzdem reagierten die meisten von uns bei Muskelspannung und Atmung darauf.

Die Kraft der Vorstellung nutzen

Ein Bild im Gehirn erzeugt folglich eine Reaktion im Körper. Genau hier setzt Mentaltraining an, weil das Gehirn nicht entscheiden kann, ob eine Situation tatsächlich erlebt wird oder „nur“ in der Vorstellung existiert.

Mit der Kraft der Vorstellung ist es auch möglich, schlechte Gedanken zu überschreiben. Unser Gehirn ist dank der Neuroplastizität lebenslänglich änderbar und hat sogar eine Lebenserwartung von 140 Jahren. Ob Emotionen oder Bewegungsabläufe – Mentaltraining kann beides zum Positiven beeinflussen.

Einsatzbereiche des Mentaltrainings

Mentaltraining ist keine Therapie, denn wir Mentaltrainer arbeiten stets mit gesunden Menschen. Es ist seit den 1960er-Jahren weltweit wissenschaftlich erwiesen.

Der Einstieg ist ab dem 9. Lebensjahr möglich, denn Mentaltraining hat nicht nur positive Wirkungen im Sport, sondern auch in Schule, Beruf und im Alltag.

Wie? statt Was?

Mentaltraining setzt den Kontrapunkt zur ergebnisorientierten westlichen Welt. Es lenkt den Fokus auf die Qualität und verbessert damit auch die Prävention, optimiert die Leistung und – wenn nötig -auch eine Reha. Und wo die Qualität gut ist, wird sich die Weiche auch zu guten Resultaten umstellen.

Natürlich will jeder Sportler gewinnen. Schlauer wäre es jedoch, zunächst nicht verlieren zu wollen, um das miese Gefühl einer Niederlage nicht erleben zu müssen. Wenn man anschließend an sich arbeitet, z.B. auf Details wie die Griffhaltung oder den Fußabstoß arbeitet, kommt man dem Erfolg auf andere Weise näher.

Themen im Mentaltraining

Derer gibt es viele:

  • Motivation: Sie spielt eine große Rolle und ist eng mit der Konzentration verknüpft. Im Leistungssport ist die intrinsische Motivation meist sehr groß. Gerade in Teams ist es aber schwierig, mehrere Menschen anzutreiben und auf ein höheres Leistungsniveau zu bringen.
  • Zielarbeit: Sie eignet sich besonders für Teams und für Menschen zwischen 40 und 60 Jahren – aber nicht ausschließlich.
  • Konzentration: Sie ist vor allem in Schlüsselbereichen wichtig.
  • Visualisierung: Hinter diesem Begriff verbergen sich viele Aspekte, die vom Einsatz der Vorstellungskraft bis zur Schulung der Wahrnehmung reichen.
  • Umfeldmanagement: Hier geht es um soziale und systemisch Aspekte, die sich positiv und negativ auf die Leistung auswirken können. Konflikte mit dem Umfeld können zu unrunden Bewegung führen, die durch Stress im Fasziensystem erklärbar sind. Wenn wiederholt Verletzungen an Bändern und Sehnen auftreten, könnte sich ein Blick ins Umfeld lohnen.
  • Regeneration: Wer sich dafür nicht genug Zeit nimmt oder unter Schlafproblemen leidet, kann Schwierigkeiten bei kognitiven Prozessen bekommen.
  • Emotionsregulation: Hier stehen Angst und Scham im Sport und in der Gesellschaft an erster Stelle. Dass Spitzenleistungen unter Unsicherheit nur schwer möglich sind, leuchtet ein.

Techniken im Mentaltraining

Es gibt ein Füllhorn an Techniken und Übungen im Mentaltraining, aus denen der Mentaltrainer die beste Auswahl für seinen Klienten und dessen Anliegen trifft. Alexandra Albert stellte folgende Techniken kurz vor:

  • Bildertechniken: Hier wird die Vorstellungskraft genutzt, und es werden individuelle innere Bilder und Metaphern für wichtige Bewegungselemente gefunden. Das visuelle System ist so mächtig, dass es uns natürlich nicht gelungen ist, „nicht an den Nikolaus zu denken“, weil sich das Bild einfach aufdrängt.
  • Selbstregulation: Hier geht es um die inneren Dialoge und Suggestionen, mit denen man sich Situationen schönreden kann – solange es realistisch bleibt.
  • Reflektionstechniken: Sie erfordern eine 1:1-Betreuung durch einen Mentaltrainer, um wirken zu können.
  • Visualisierung/Imagionation: Damit wird dem Gehirn ein Bild für die Umsetzung einer Bewegung gegeben. Wer die Anatomie des Sprunggelenks kennt, kann sich besser vorstellen, was bei einem Katapultstart im Körper passiert. Wer die Aufforderung erhält, beim Vorrollen den Beckenboden zu entspannen, kann diesen besser ansteuern, wenn er weiß, wo dieser sich befindet und wie er aussieht. Dazu kommt, dass der Körper bereits dann Aminosäuren ausschüttet, wenn man sich ein Krafttraining „nur“ vorstellt. Auch Heilungsprozesse lassen sich mit der Kraft der Gedanken positiv unterstützen.
  • Regenerationstechniken: Auch hier steht eine große Auswahl zur Verfügung. Wer locker ist, aktiviert seine Vorstellungskraft am besten.
  • Ankertechniken: Neigt ein Ruderer beispielsweise dazu, die Skulls zu tief einzutauchen, kann er daran arbeiten, den Tonus aus den Händen heraus zu kriegen, damit sie die Skulls nur locker führen. Den Gedanken, mit jedem Atemzug ein Teil der Spannung abzuwerfen, kann an den Griffen geankert werden.
  • Modelling: Diese Technik nutzt die Spiegelneuronen, die bei anderen gesehene Bewegungen übernehmen. Es lohnt sich also, Videos guter Ruderer anzusehen und Schlüsselstellen im Bewegungablauf immer wieder zu betrachten.

Gruppendiskussion zu Demotivation

Bei der schon angesprochenen Motivation geht es um mögen und wollen und um Neurotransmitter und Hormone. Bei unerwarteten Erfolgserlebnissen wird Dopamin ausgeschüttet. Das fühlt sich gut an, und man will mehr davon.

Kommt man im Training aber nicht wie erwartet voran und macht sich Demotivation breit, sollte man sich einerseits die Frage stellen, was einen tatsächlich demotiviert und andererseits im Training etwas ganz anderes machen, um ein unerwartetes Erfolgserlebnis herbeizuführen.

In meiner Gruppe ermittelten wir Zeitstress, nicht angemessen berücksichtigte individuelle Bedürfnisse beim Training und Konflikte im Umfeld als Ursachen für die Demotivation.

Abschließende Fragerunde

Nach ihren interessanten Vortrag beantwortete Alexandra Albert noch einige Fragen der Teilnehmerinnen. Wie kann man sich mit kalten Händen beim Rudern arrangieren? Wie geht man am besten mit der Angst vor dem Kentern im Renn-Einer um? Wie kann man Kinder auf Regatten vorbereiten? Was gehört in die Rennbesprechung vor der Regatta?

Es gab einige interessante Antworten, aber auch den Hinweis, dass Mentaltraining nicht umsonst –training heisst. Denn 8 bis 12 Wochen braucht das Gehirn, um neue Verknüpfungen zu erstellen. Mentaltraining ist wie Physiotherapie und ein Handwerk, das unter der Begleitung durch einen guten Mentaltrainer viel Gutes bewirken kann.

Fazit

Der Vortrag hat den Teilnehmerinnen, die bis dahin noch nichts oder nur wenig über Mentaltraining wussten, hoffentlich Lust gemacht, sich näher damit zu beschäftigen. Mir hat er gezeigt, welchen Schatz meine aufbereiteten Übungen und griffbereiten Utensilien darstellen. Einiges nutze ich für mich selber, manchmal automatisch, manchmal sogar, indem ich mir vorstelle, dass ich einem anderen Ruderer helfe, das gleiche Problem zu lösen, das mich gerade plagt.

Wenn es aus dem Kreis der Teilnehmerinnen der Zukunftswerkstatt „Frauen im Rudersport“ noch offene Fragen gibt, wenn sie oder auch andere Vereine Interesse an einem Workshop oder Einzelbetreuung haben, stehe ich gerne zur Verfügung, einfach mal bei mir reinlesen und gerne melden. Ich habe auch noch ein paar Exemplare meines Buchs „Für mich“, das viele Mentaltechniken in konkret anwendbarer Form enthält.

Übrigens: Während ich diesen Beitrag schreibe, läuft im Fernsehen Skispringen. Warum ist Pius Paschke aktuell so erfolgreich? Was hat er verändert, wird er gefragt. Eigentlich nichts, außer dass er mit einem Mentalcoach arbeitet! Sprach’s und sprang wieder ganz nah an die grüne Linie…

2 Antworten zu „Mentaltraining im Rudersport“

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  2. […] mentale Vorbereitung ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg im Rudersport. Mentale Prozesse begleiten jede Handlung und haben einen direkten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Ruderers. Die Gedanken eines […]

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