Anfang der 1950er Jahre wollten ein paar Mädchen in Braunschweig mit dem Rudern beginnen. „Begeistert waren die Männer nicht, dass wir nun auch Rudern wollten,“ berichtet eine von ihnen rückblickend. Aber die Mädchen setzten sich durch, und schnell war ein Vierer komplett.
1955 folgten weitere Mädchen, so dass zunächst sogar ein zweiter Vierer gefüllt werden konnte. Aus beiden Booten gaben aber wieder einige den Rudersport auf, so dass es bei einem Vierer blieb. Die verbliebenen Mädchen waren aber voller Engagement dabei und trainierten eifrig.
Training
Für alle – auch für junge Männer in anderen Vereinen – galt eine strenge Trainingsverpflichtung. Um 22 Uhr galt Bettruhe, Rauchen und Alkohol waren verboten, und die Trainingszeiten mussten eingehalten werden. 3 bis 4 Mal wöchentlich wurde gerudert. Die Mädchen fuhren zunächst mit dem Fahrrad zum Bootshaus in der Stadt. Nach Eröffnung des neuen Bootshauses am Mittellandkanal radelten sie gemeinsam weitere 7 km dorthin, bevor es auf Wasser ging. Für diejenigen, die sich bereits in einer Ausbildung befanden, führte der Weg direkt vom Arbeitsplatz zum Sport.

Trainer und Betreuer
In den Anfangsjahren gab es sogar einen Vereinstrainer für alle Frauen. Der zog allerdings eines Tages nach Nürnberg und ließ die Braunschweigerinnen alleine. Der neue Vierer hatte aber Glück und fand einen Privattrainer, der liebevoll „Vater“ Mücke genannt wurde.
Dazu kam eine Dame, die als Frauen-/Ruderwartin tätig war.
Regatta
Mit ihrem Trainingseifer empfahlen sich die Braunschweigerinnen bald für Regattaeinsätze. Stilrudern war angesagt – etwas anderes gab es für die Frauen nicht. Rennrudern galt als unschicklich, vielmehr sollten sie „mit Grazie und Präzision einen guten ästhetischen Eindruck“ bei den Kampfrichtern hinterlassen. So fasste es der RK Normannia Braunschweig in der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen zusammen.
Die Mädchen hatten keine andere Wahl, ruderten so schön sie konnten und erreichten damit einige Siege und Erfolge bei Regatten in der Nähe. Selbst für die Tagesreisen nach Hameln, Kassel, Bodenwerder, Leer oder Eschwege brauchten sie natürlich Sponsoreneltern, die ein Auto hatten und die Mädchen an die Regattaorte brachten. Der Bootstransport wurde zentral vom Verein organisiert.

Wenn es einmal weiter weg ging, z.B. nach Hamburg, mussten die Mädchen Privatquartiere suchen, um die Kosten gering zu halten.
Offiziell fand im Jahr 1969 die letzte Deutsche Meisterschaft im Stilrudern statt. Anschließend durften sich Frauen auch im Rennrudern messen.
Eine kleine Ausnahme wurde in Braunschweig aber doch schon früher gemacht. Denn bei der Clubregatta 1957 durften die Frauen neben dem Stilrudern auch ein Schlagzahlrennen absolvieren und im Einer gegeneinander antreten.

Das war Rennrudern, allerdings „nur“ im Gigboot. Denn Rennboote zu bekommen, war für die Mädchen sehr schwer.
Männlein und Weiblein
Im Boot herrschte strikte Geschlechtertrennung. Die Frauen mussten unter sich bleiben. Die Ruderinnen durften auch nur eine Steuerfrau an Bord nehmen. Das galt bis in die 60er-Jahre. An Land gab es aber ein gutes Miteinander der Geschlechter. Beim Bootshausdienst waren die Frauen allerdings prädestiniert, die Fenster zu putzen. Bei vielen schönen Festen machten sie sich mit dem Kantinenwirt in der Küche nützlich und spendeten Essen.
„Damen waren von Anfang an willkommen“, heißt es in der Festschrift des Vereins. Am Fahnenmast vor dem Bootshaus wurden die Siege von Männern und Frauen gleichermaßen mit einem Wimpel präsentiert. Beim Kampf um ein Boot hatten die Frauen aber doch öfter das Nachsehen.
Die „alten Herren“, die dem Breitensport frönten, waren zu den Mädchen stets freundlich, wird heute rückblickend berichtet.

Dieses Bild zeigt leider nicht den ersten Mix-Zweier, der auf Regatta gegangen wäre. Es war für die Hochzeitseinladung gedacht und trotzdem fast ein Ding der Unmöglichkeit, dass sich das junge Paar gemeinsam in ein Rennboot setzen durfte.
Das ist heute kein Problem mehr. Und trotzdem war es eine schöne Zeit, an die sich die Ruderinnen gerne erinnern.
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